Chemnitz Nazifrei

Für eine gerechte Zukunft!

STATEMENT ZU DER RAZZIA AUF DEM SONNENBERG AM 02.02.2022

Triggerwarnung! Im Folgenden werden explizit Gewalthandlungen durch die Polizei beschrieben, welche von den Betroffenen als rassistisch motiviert eingeordnet werden.

Am Mittwoch, den 2. Februar erfolgte zwischen 17 und 19 Uhr auf dem Sonnenberg eine Großrazzia durch die Bundespolizei, Landespolizei, Steuerfahndung und den Zoll. Betroffen von den Maßnahmen waren zahlreiche arabische Geschäfte und ein Restaurant um die Kreuzung Hainstraße / Fürstenstraße. Laut Zoll habe es sich bei der Razzia am frühen Abend um eine lang geplante Maßnahme gehandelt. Wie eine Zollsprecherin gegenüber dem MDR bekannt gab, wurden mit der Razzia mehrere Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Chemnitz umgesetzt. Ziel der Durchsuchungen seien demnach Kontrollen zur Abrechnung der Tabak-, Kaffee- und Alkoholsteuer gewesen. „Unsererseits wurden keine Verfahren eingeleitet. Die Kontrolle war faktisch eine Präventivmaßnahme, da ohne Ergebnis“, erklärt danach Jessica Schwabe, die Hauptzollamt-Pressesprecherin.

Was bisher in lokalen Medien keine Beachtung fand, sind die Stimmen der betroffenen Laden- und Restaurantbesitzer. Im Folgenden teilen wir einige Perspektiven, die von der Chemnitzer Presse, welche sich primär auf die öffentliche Haltung der Polizei- und Zollsprecher:innen berufen, nicht gehört wurden.

Das Vorgehen der eingesetzten Polizist:innen und Zollbeamt:innen wurde von den Besitzern und Mitarbeitern in den betroffenen Läden und Restaurants, sowie von Anwohner:innen als übertrieben gewaltvoll empfunden. „Als die Polizei in unserem Viertel einrückte, hätte man denken können, dass sie nach Terroristen suchen. Überall Blaulicht und vermummte Bullen“ beschreibt eine deutsche Anwohnerin. Über 30 Polizeiwagen hätten die ganze Kreuzung entlang vor den Läden geparkt, darunter auch zivile Polizeiautos. Mit bis zu 20 Einsatzkräften stürmten die vermummten Polizist:innen in Verkaufsräume und versperrten das Sichtfeld von außen. Vor einem Laden wurde die Fußgängerzone gesperrt und Passant:innen wurden teils mit groben Schubsern genötigt, die Straßenseite zu wechseln. Alle Ladenbesitzer beschrieben, dass die Polizei massiv unfreundlich und hasserfüllt wirkte. „Sie haben mich behandelt, wie einen Kriminellen“ beschreibt ein Ladeninhaber, der nicht namentlich genannt werden möchte. Fast keinem der Inhaber wurde ein Durchsuchungsbefehl vorgelegt. „Die Polizei kam mit 10 Leuten in meinen Laden und hat mich angeschrien. Ich habe mich nicht getraut, nach einem Durchsuchungsbeschluss zu fragen“ erinnert sich der Ladeninhaber. Die Einsatzkräfte hätten akribisch die Buchhaltung durchforstet, Pakete geöffnet und Bargeld gezählt. Viele Ladeninhaber und Mitarbeiter gehen davon aus, dass die Polizei nicht nur wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gesucht habe, sondern auch nach Schwarzarbeit, Schmuggelware und Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Während der Maßnahmen mussten die Besitzer und Mitarbeiter der betroffenen Läden teilweise in einer Reihe vor dem Fenster stehen – für Passant:innen ein Bild, dass zweifellos schlimmeres vermuten lässt, als eine Steuerfahndung. In mehreren Läden waren von diesen Maßnahmen auch die minderjährigen Söhne der Besitzer betroffen, die während der Durchsuchungen nicht den Verkaufsraum verlassen durften.

Nachdem die Maßnahmen beendet waren, ist die Polizei wieder abgerauscht. Nur einer der vielen betroffenen Ladeninhaber berichtet, dass sich die Beamt:innen bei ihm für die Durchsuchung ohne Resultate entschuldigt hätten. Hingegen erklärten alle, das Vorgehen der Polizei hätten sie als rassistisch empfunden. „Mich haben sie nicht direkt beleidigt, aber ich habe gemerkt dass sie rassistisch waren. So wie sie mit mir gesprochen und mich angeschrien haben, so wie sie geschaut haben, das war Rassismus“ erzählt der Ladenbesitzer.

Die meisten Ladeninhaber bestätigten, dass sich die Polizei einigermaßen an das gesetzliche Vorgehen gehalten habe. Es sei nichts zerstört worden und die von der Razzia betroffenen Inhaber und Mitarbeiter seien nicht gefesselt oder fixiert worden. „Die Polizei macht mir keine Angst“ sagt ein Ladenbesitzer. „Angst habe ich nur vor Gott.“ In einem Fall jedoch verübten die Beamten massive Polizeigewalt und hinterließen ein Bild der Zerstörung.

Die Mitarbeiter, die nicht namentlich genannt werden möchten, berichten uns, dass die Polizei mit mindestens 18 Beamt:innen in ihr Restaurant gestürmt sei. „Sie kamen rein, als gerade ein Kunde bei mir an der Theke war. Ich habe gefragt, ob ich noch eine Minute den Kunden bedienen darf, aber sie haben mich sofort geschlagen“, so einer der Mitarbeiter.

„Dann hat mich ein Polizist von hinten gepackt und meine Nase und mein Mund zugehalten. Ich hatte Schmerzen und konnte nicht atmen. Ich habe kaum verstanden, was passiert ist, weil sie mich ins Gesicht geschlagen haben, in den Bauch und auf den Rücken. Sie haben mir dann Handschellen angelegt. Ich weiß nicht mehr genau wann. Ich dachte, das muss ein Traum sein. Ich hätte nicht gedacht, dass mir so etwas Schlimmes ohne Grund passiert. Ich war total geschockt. Ich habe sie angefleht, eine halbe Stunde lang, dass sie die Handschellen etwas lockerer ziehen. Meine Hände sind schon blau angelaufen.“

Der Mitarbeiter zeigt uns seine Hände, an denen auch drei Tage nach der Razzia noch die roten Einschnitte der Handschellen zu sehen sind. Auch eine Schwellung an der Schläfe ist noch zu erkennen. „Ich habe gefragt, warum sie das machen und gesagt, dass ich ein Mensch bin und kein Krimineller“. Bei dieser Maßnahme sei die Tür der Toilette beschädigt worden und die Garderobe sei herunter gefallen.

Währenddessen wurde auch ein Freund des Chefs von der Polizei drangsaliert. „Ich hatte meine Hände in den Hosentaschen und der Polizist hatte seine Hand an der Pistole. Er tat so, als hätte ich ein Messer dabei oder so.“ Er wurde von mehreren Polizisten an das Fenster des Restaurants gedrückt. Ein Foto von ihm, wie die Polizei ihn an die Scheibe drückt, ist in der Presse gelandet und nun habe er Angst, dass seine Familie in der Heimat denkt, er sei ein Krimineller. „Er kann seitdem nicht schlafen“, erzählt ein weiterer Mitarbeiter. Die Polizei habe sich auch mehrfach rassistisch geäußert. So seien etwa Sätze gefallen wie „Wir wollen euch nicht in Deutschland!“ oder „Wenn es sein muss, kommen wir jeden Tag mit 300 Polizisten!“.

Währenddessen wurde der Laden weiter durchsucht. Dabei sei die Polizei nicht nur brutal gegen die Mitarbeiter und die Einrichtung vorgegangen, sondern habe auch den Cousin des Mitarbeiters nicht verschont. „Er war nur zu Besuch da. Ein Polizist ist einfach zu ihm gegangen, hat ihm sein Handy aus der Hand genommen und es auf den Boden geworfen. Es wurde komplett zerstört. Das war voller Absicht! Weißt du, für manche Menschen sind 300€ nicht viel Geld. Aber für ihn ist das ein Problem!“. Der Mitarbeiter ist fassungslos über das Vorgehen der Polizei. „Wir haben unsere Ordnung hier“ erzählt er. „Nachdem die Polizei gegangen ist, haben wir die halbe Nacht damit verbracht, die Küche und das Büro aufzuräumen. Sie haben alles runter geschmissen und Chaos gemacht“. Er könne nicht verstehen, dass solche Dinge in einem Land wie Deutschland geschehen. „Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich dachte, es gibt hier Demokratie. Ich hoffe, dass mir solche schlimmen Dinge in Zukunft nicht wieder passieren werden.“

Auch deutsche Anwohner:innen zeigen sich bestürzt über das brutale Vorgehen der Polizei. „In unseren Augen war diese Razzia völlig unbegründet und lieferte auch keine Ergebnisse. Die Polizei versucht gezielt, das Leben von Geflüchteten und migrantischen Menschen in Chemnitz zu sabotieren“ so eine Studentin.

„Sie razzen die Läden, damit sie ihre Kunden verlieren und die Deutschen denken, arabische Leute seien kriminell. Die Polizei versucht, die Freundinnen und Freunde in unserem Viertel einzuschüchtern und zu vertreiben. Wir missbilligen das zutiefst und erwarten, dass dieses brutale Verhalten der Polizisten von der Politik zur Verantwortung gezogen und zukünftig unterbunden wird! Wir werden weiter in arabischen Läden einkaufen und essen gehen. Für uns sind migrantische communities in Chemnitz eine große Bereicherung und die Polizei zieht nur den Hass des Viertels auf sich, wenn sie solche rassistischen und gewaltvollen Aktionen macht.“

Wir, das Bündnis Chemnitz Nazifrei, sind schockiert über diese Vorfälle – auch wenn das Vorgehen der Polizei in Anbetracht der letzten Jahre nicht überraschend ist. Wir fordern weiterhin eindringlich eine unabhängige Untersuchungskommission, welche Fälle von Polizeigewalt und rassistischer Diskriminierung durch die Polizei kontrolliert. Wir fordern die Stadt Chemnitz auf, die Behörden wegen dieser brutalen Razzia zur Verantwortung zu ziehen und zukünftige Maßnahmen dieser Art kritisch zu hinterfragen. Wir appellieren an alle Migrations- und Antidiskriminierungsbeauftragten, den Betroffenen Hilfe anzubieten und den Behörden die Hölle heiß zu machen.

Und liebe Bewohner:innen dieser Stadt – kümmert euch um die Menschen in eurem Viertel. Sprecht mit den Leuten, die in polizeiliche Maßnahmen geraten oder Polizeigewalt erleben mussten. Bietet Unterstützung an und zeigt eure Solidarität! Lasst euch nicht von dieser spalterischen Polizeimentalität täuschen! Und spendet Geld – damit der Cousin des Mitarbeiters, der von der Polizei misshandelt wurde, ein neues Handy kaufen kann! 🙂