Chemnitz Nazifrei

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Schlendernde Nazis oder auch: rechte Akteur*innen und Verschwörungsdenken im Rahmen der Corona-Proteste und warum es sich dabei nicht gänzlich um ein neues Phänomen handelt

Es ist keine neue Information, dass extrem rechte Akteur*innen wie die Freie Sachsen bei den sogenannten „Spaziergängen“ eine entscheidende Rolle spielen. Sie propagieren, skandalisieren, organisieren und „spazieren“. Und ihnen folgen Hunderte. Ihre faschistische Ideologie wird dabei von den Mitläufer*innen einfach toleriert oder sogar akzeptiert und unterstützt. Dabei hat das Engagement extrem rechter Akteur*innen innerhalb der Schwurbler*innen-Szene wohl nur wenig mit Corona zu tun.

Im Rahmen der Maßnahmen zum Infektionsschutz wurden von der Regierung im Verlauf der letzten zwei Jahre teils Maßnahmen erlassen, die durchaus zu kritisieren sind. Zusätzlich zu fundierter, wissenschaftlich begründbarer Kritik werden im Netz und auf zahlreichen Protesten von sogenannten „Maßnahmenkritiker*innen“ auch Verschwörungserzählungen verbreitet, die leider nach wie vor viel Aufmerksamkeit erhalten. Extrem rechte Akteur*innen haben dies früh erkannt und nutzen diese Aufmerksamkeit nun für sich. Sie befeuern das Thema immer und immer wieder und sorgen dafür, dass es weiter polarisiert. Sie gewinnen dadurch an Anhänger*innen und versuchen so immer mehr Druck auf die Regierung und die Gesellschaft auszuüben.

Es zeigt sich aktuell, dass Verschwörungsdenken vor allem in Krisenzeiten eine Schnittmenge für Reichsbürger*innen, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen, Rechte und vermeintlich „normale Bürger*innen“ bietet. Verschwörungsideologien liefern Anknüpfungspunkte an rechte Ideologien und somit ein großes Radikalisierungspotential. Sie können einfach von Agitator*innen genutzt werden um ihre Feindbilder zu reproduzieren. So lässt sich vor allem in Ostdeutschland eine Vereinnahmung der Corona-Proteste durch die Freie Sachsen beobachten, welche die Proteste für ihre rechte Mobilisierung instrumentalisieren. Die hohe Dichte von Rechtsradikalen in Sachsen ist dabei kein neues Phänomen, sie findet in den Corona-Protesten jedoch einen neuen Ausdruck, eine neue Öffentlichkeit, also auch neue Anschlussfähigkeit.

Um das aktuelle Phänomen zu erklären lohnt sich ein Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus Autoritarismus-Studien. Diese empirischen Untersuchungen zeigen, dass autoritäre und rechte Einstellungen weit bis in die gesellschaftliche Mitte Zustimmung finden. Die Ergebnisse sind über viele Jahre alamierend. Abwertende Einstellungen gegen Migrant*innen, Muslim*innen und Jüd*innen bleiben hoch, besonders in Ostdeutschland (1).

Wo sich die von Widersprüchen durchzogene hochkomplexe kapitalistische Moderne krisenhaft durchsetzt, zeigt sich Verschwörungsmentalität als Symptom eng verbunden mit politischer Entfremdung, Vertrauensverlust in die Institutionen des Staates und subjektiven ökonomischen und sozialen Deprivationserfahrungen (Gefühl der Benachteiligung, Angst vor wirtschaftlichem Abstieg). Verschwörungsdenken wird hier als fehlgeleiteter Abwehrmechanismus verstanden, in dem eigene Motive, Wünsche und Affekte in die Außenwelt verlagert werden. Verschwörungsdenken schafft so eine Komplexitätsreduzierung, gibt das zuvor verlorene Gefühl von Kontrolle zurück und bietet ein neues Identifikationsangebot. Verschwörungsmythen liefern Erklärungen für Geschehnisse, die zuvor als unerklärlich und unkontrollierbar wahrgenommen wurden, wie beispielsweise der Ausbruch einer globalen Pandemie (1,2,3).

Die Zuflucht in Verschwörungsmentalität als Reaktion auf ein gesamtgesellschaftliches Unbehagen zu verstehen, kann dabei helfen, das Verhalten von „unpolitischen normalen Bürger*innen“ im Rahmen der Proteste zu erklären. Der Glaube an Verschwörungsideologien ist dabei nichts Neues, was die lange Geschichte antisemitischer Verschwörungsmythen zeigt und so sind auch die hier reproduzierten antisemitischen und rassistischen Feindbilder weit verbreitet und haben historische Kontinuität.

Corona-Leugner*innen und Schwurbler*innen, angeführt von extrem rechten Parteien wie den Freie Sachsen, verbreiten das Narrativ die Gesellschaft würde durch die Corona-Maßnahmen gespalten. Diese vermeintliche Spaltung erzeugt bei Anhänger*innen sowohl Angst als auch Mut. Protestierende haben Angst vor weiteren Maßnahmen der Regierung und sehen sich als Opfer eines diktatorischen Systems. Rechte Protagonist*innen und Netzwerke sind routiniert darin, das Unbehagen der in der Pandemie aufkommende Gefühle von Angst, fehlender Handlungsfähigkeit und Ohnmacht für ihre Ideologien zu mobilisieren und zu instrumentalisieren – beispielsweise durch die Übernahme der Narrative „die da oben“ und „wir hier unten“. So werden Gefühle wie Angst und das Bedürfnis nach Ohnmachtsabwehr aufgegriffen, auch in Form der Artikulation von Frust oder Widerständigkeit, welche sich insgesamt gegenseitig in einem Unrechtsgefühl bestärken (3). Das Diktaturnarrativ stellt dabei die Voraussetzung für das Widerstandsnarrativ dar. Der Unterschied zwischen einem Protest, um einen konkreten Sachverhalt zu ändern und Widerstand mit dem Ziel eines Systemumsturzes ist dabei kein rhetorischer, sondern ein Unterschied ums Ganze (4).

Spezifisch in Ostdeutschland lässt sich in den Protesten der Verweis auf die friedliche Revolution 1989 finden, indem die kollektive Erinnerung der Menschen aus den neuen Bundesländern wiederbelebt wird und die Straße erneut als zentraler Bezugspunkt das Mittel der Wahl ist. Besonders hier finden sich personelle Überschneidungen der Akteur*innen, welche sich in der gemeinsamen widerständigen Biographie bestärken (Fußnote 4). Insgesamt wird auf alte Strukturen und Netzwerke zurückgegriffen, die bereits ähnliche Narrative stützten wie etwa Pegida und etliche Ableger, die AfD oder auch Pro Chemnitz. Vereinend wirkt hier auch die Ablehnung der etablierten Medien.

Die vereinenden Narrative sind genau das, was die Corona-Proteste für rechte Akteur*innen so nützlich und attraktiv machen. Somit stellt Corona nur einen gelegenen Anlass dar. Rechte Akteur*innen wollen eine Destabilisierung der Gesellschaft, da sie so einerseits Druck auf Regierung und Gesellschaft ausüben, andererseits ihre Anhänger*innenzahl erhöhen können. Diese Anhänger*innen haben bereits bewiesen, dass sie eine Tendenz zu Verschwörungsmentalität aufweisen. Somit eignen sie sich gut, um ihnen step by step ihre faschistische Ideologie beizubringen und sie ihnen als einzigen Weg zu einer sicheren und stabilen Gesellschaft zu verkaufen. Das dies bereits passiert, kann man an der Relativierung des Holocausts erkennen, die immer wieder Ausdruck findet, wenn sich Schwurbler*innen mit den Opfern vergleichen.

Was wir damit sagen wollen, ist, dass sich extrem rechte Akteur*innen nicht wirklich für Corona und die Maßnahmen interessieren. Sie sehen eine Möglichkeit mitzumischen, ein Sprungbrett für die Verwirklichung ihrer Ziele. Gäbe es Corona nicht, würden sie sich andere Wege suchen. Es geht ihnen nicht darum, die Impfpflicht zu verhindern oder fundierte Kritik an anderen Maßnahmen zu üben. Sie wollen nur ihre menschenverachtende Ideologie verbreiten. Es stellt sich die Frage, wie sich die neuen rechtsoffenen bis rechten Allianzen und weiter ausgebauten Netzwerke in Zukunft entwickeln werden, da diese über den pandemischen Zustand hinaus existieren werden.

Wir müssen auf der Straße stärker sichtbar werden, eine Gegenöffentlichkeit schaffen und sie daran hindern. Wir sind da und beobachten, dokumentieren und recherchieren die sächsischen Zustände. Es bedarf eines geschärften Problembewusstseins, konsequenter und kontinuierliche Außeinandersetzung mit strukturellen Ungleichheiten, Diskriminierungen und Herausforderungen der Gesellschaft.


Quellen:

  1. Autoritäre Dynamiken – Alte Ressentiments – neue Radikalität / Leipziger Autoritarismus Studie 2020 (Oliver Decker, Elmar Brähler, 2020) https://www.psychosozial-verlag.de/3000 (v.a. Kapitel 9 „Aberglaube, Esoterik und Verschwörungsmentalität in Zeiten der Pandemie „)
  2. Rechtsextremismus der Mitte – Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose (Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler, 2013) https://www.psychosozial-verlag.de/2294 (v.a. Kapitel 5.1. „Verschwörungsmentalität als Weltbild“)
  3. Verschwörungsmentalität als Reaktion auf ein gesellschaftliches Unbehagen (Clara Schließler, 2022) https://efbi.de/details/verschwoerungsmentalitaet-als-reaktion-auf-ein-gesellschaftliches-unbehagen.html
  4. „Ein Arm­drü­cken mit der Macht des Staates“ – Inter­view mit David Begrich (2022) https://gegneranalyse.de/armdruecken-mit-der-macht-des-staates-nterview-david-begrich/

Zum Weiterlesen und – hören

  • »Spaziergänge« in Ostdeutschland: Nazis als Bannerträger (David Begrich 2022) https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/februar/spaziergaenge-in-ostdeutschland-nazis-als-bannertraeger
  • Zwischen Anbiedern und Einknicken- Wie die sächsische Politik mit den Coronaprotesten umgeht (ARD Kontraste, 2022) https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-27-01-2022/wie-die-saechsische–politik-mit-den-corona-protesten-umgeht.html
  • CeMAS-Studie: Das Protestpotential während der COVID-19-Pandemie (Pia Lamberty, Josef Holnburger und Maheba Goedeke Tort, 2022): https://cemas.io/blog/protestpotential/
  • Verschwörungsideologien (Podcast von Chronik L.E. „Bei uns doch nicht!“, 2022) https://www.mixcloud.com/beiunsdochnicht/folge-10-verschw%C3%B6rungsideologien/
  • Eskalierende Proteste – Kontrollverlust mit Ansage (2021) https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91272586/corona-pandemie-gewalttaetige-proteste-die-ursachen-liegen-viel-tiefer.html
  • Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen (Katharina Nocun, Pia Lamberty, 2021) https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/gesellschaft/fake-facts/id_7818123